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BVerfG: Der Fall Egenberger und kein Ende - wie weit reicht die Entscheidungsmacht der Kirchen im Arbeitsrecht?

  • Autorenbild: Norbert Gescher
    Norbert Gescher
  • vor 4 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Mit großer Spannung war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im "Fall Egenberger" erwartet worden.

Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) hatte im Jahr 2012 (!) eine Stelle ausgeschrieben, in der eine Referentin/ein Referent im Projekt parallel Berichterstattung zu UN-Antirassismuskonvention gesucht wurde. In der Ausschreibung wurde darauf hingewiesen, dass die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche vorausgesetzt werde.

Frau Egenberger, die konfessionslos ist, hatte sich auf die Stelle beworben und war abgelehnt worden. Daraufhin erhob sie Klage zum Arbeitsgericht Berlin auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 9.788,65 €, weil sie aus religiösen Gründen weniger günstig behandelt worden sei, als vergleichbare Bewerber.

In erster Instanz war die Klägerin erfolgreich und bekam eine Entschädigung i.H.v. 1.957,73 € zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Klage hingegen in der Berufung zurückgewiesen und das Bundesarbeitsgericht das Verfahren zunächst beim europäischen Gerichtshof vorgelegt.

Der Europäische Gerichtshof urteilte dann mit Datum vom 17. April 2018 und stellte unter anderem klar, dass es sich bei der in der Richtlinie 2000/78 genannten wesentlichen, rechtmäßigen ungerechtfertigten beruflichen Anforderung um eine Anforderung handelt, die notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sein muss und keine sachfremden Erwägungen ohne Bezug zu diesem Ethos oder dem Recht dieser Kirche auf Autonomie umfassen darf.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs verurteilte das Bundesarbeitsgericht das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung zur Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 3.915,46 €.

Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht jetzt aufgehoben und den Rechtsstreit erneut zur Befassung durch das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

In seiner Begründung stützt sich das Bundesverfassungsgericht wesentlich darauf, dass das Bundesarbeitsgericht unzulässigerweise die Sicht der Diakonie im Hinblick auf die Bedeutung der ausgeschriebenen Stelle nicht ausreichend berücksichtigt habe. Das Bundesarbeitsgericht hatte ausgeführt, dass die Aufgaben der ausgeschriebenen Stelle nicht zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen gehörten. Das Bundesverfassungsgericht rügt, dass das Bundesarbeitsgericht im wesentlichen auf sein eigenes Verständnis abgestellt habe, anstatt das Selbstverständnis der Diakonie in Bezug auf die mit der Tätigkeit einhergehenden repräsentativen, eigenverantwortlich wahrzunehmenden Aufgaben zu würdigen.


Hinweise Rechtsanwalt Dr. Norbert Gescher


Das Bundesarbeitsgericht zieht in seiner Entscheidung nach eigener Darstellung keine neuen Prüfparameter ein, sondern nimmt eine "Schärfung" der Anforderungen für die Überprüfung der Grenzen des religiösen Selbstbestimmungsrechts einerseits unter Einhaltung der Gleichbehandlungsrichtlinie andererseits vor. Die wesentlichen Eckpfeiler der nunmehr über ein Jahrzehnt geführten rechtlichen Auseinandersetzung bleiben damit erhalten. Die weltlichen Gerichte können und müssen die Anforderungen, die die Kirchen oder kirchliche Organisationen an ihre Mitarbeitenden erheben, in einem mehrstufigen Prozess prüfen. Nach der jetzigen Entscheidung ist in der ersten Stufe zu prüfen, ob objektiv ein direkter Zusammenhang zwischen der aufgestellten beruflichen Anforderung der Kirchenmitgliedschaft einerseits und der fraglichen Tätigkeit besteht. Dabei obliegt es der Religionsgemeinschaft, diesem Zusammenhang plausibel darzulegen. Auf der zweiten Stufe erfolgt dann eine Gesamtabwägung der betroffenen rechtlichen Belange mit der Prüfung, ob die berufliche Anforderung im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit für die Wahrung des religiösen Selbstverständnisses verhältnismäßig sein muss.

Schon jetzt lässt sich sagen, dass diese Entscheidung wenig Hilfe leisten wird, um einen verlässlichen Gradmesser für die Grenzen der Zulässigkeit zu finden. Auch in Zukunft ist eine umfassende Abwägung erforderlich, in deren Rahmen das Bundesverfassungsgericht den Kirchen die Darlegungslast ein Stück weit erleichtert, aber keineswegs nimmt. Mit Spannung bleibt im Übrigen abzuwarten, wie die weitere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu diesem Thema sich entwickelt. Hier steht die nächste Entscheidung im Zusammenhang mit der Kündigung nach Kirchenaustritt an.


Gericht: Bundesverfassungsgericht

Az: 2 BvR 934/19

Datum: 29.09.2025

 
 
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