Die Klägerin stand vom 1. Januar 1978 bis zum 31. Januar 2015 bei der beklagten evangelischen Kirchengemeinde als Organistin und Chorleiterin in einem Arbeitsverhältnis. Am 15.5.20006 fand eine Sitzung des Kirchengemeinderats statt, in der es ausschließlich um arbeitsrechtliche Maßnahmen gegenüber ihr ging und in dessen Folge die Klägerin ausschließlich als Springerin eingesetzt wurde. Die Klägerin begehrt u.a. die Herausgabe dieses Protokolls. Mit dem Herausgabeanspruch hatte die Klägerin jetzt in der Revision Erfolg. Der Tenor lautet:
„Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 herauszugeben.“
Zuvor waren sämtliche Versuche der Klägerin, Auskunft über den Inhalt der Kirchengemeinderatssitzung vom 15. Mai 2006 zu erlangen - darunter auch zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in den Jahren 2012 und 2018 – gescheitert.
Unter dem 12. Januar 2021 stellte die Klägerin dann mit Verweis auf die geänderte Rechtslage einen erneuten Antrag auf Einsichtnahme in das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006. Dies wurde neuerlich zurückgewiesen.
Der Beauftragte für Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland ordnete am 30. April 2021 gegenüber der Beklagten zunächst an, der Klägerin das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 unter Schwärzung von Namen anderer Personen zur Verfügung zu stellen. Diese Anordnung wurde dann jedoch in der Folgezeit wieder zurückgenommen.
Nach der jetzt vorliegenden Entscheidung des BAG könne es dahinstehen, ob sich ein Anspruch der Klägerin auf Überlassung einer Kopie des Protokolls aus § 19 Abs. 1 DSG-EKD ergibt, obwohl in dieser Norm bislang ausdrücklich nur ein Anspruch auf Auskunft und nicht auch ein Anspruch auf Überlassung einer Kopie geregelt ist.
Der Anspruch der Klägerin auf Überlassung einer Kopie des Protokolls der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 ergebe sich jedenfalls aus § 3 Abs. 5 KAO, § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Insoweit ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten für Arbeitssachen eröffnet, die Rechtskraft vorausgegangener Urteile des Verwaltungsgerichts der Evangelischen Landeskirche in Württemberg stehe dem nicht entgegen.
Die staatliche Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz erstrecke sich auch auf die Kirchen und ihre karitativen Einrichtungen.
Die Klägerin habe einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie des Protokolls über die Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 aus § 3 Abs. 5 Satz 1 und Satz 3 KAO. Danach haben die Beschäftigten ein Recht auf Einsicht in ihre vollständigen Personalakten. Sie können nach § 3 Abs. 5 Satz 3 KAO Kopien aus ihren Personalakten erhalten. Im beendeten Arbeitsverhältnis ergibt sich dies jedenfalls aus § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
Da das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats vom 15. Mai 2006 Teil der materiellen Personalakte der Klägerin, beziehe sich § 3 Abs. 5 KAO auch auf dieses Protokoll.
Für das Recht auf Einsicht in die Personalakten und die Herausgabe von Kopien aus der Personalakte nach § 3 Abs. 5 KAO müsse der materielle Begriff der Personalakte herangezogen werden.
Im beendeten Arbeitsverhältnis ergebe sich ein entsprechender Anspruch jedenfalls aus einer nachvertraglichen Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Hinweise RA Dr. Norbert Gescher
Immer wieder beschäftigen Auskunftsansprüche die Arbeitsgerichte. Die spannende Frage des Verhältnisses zwischen kirchlichem und weltlichen Datenschutzrecht musste hier nicht entschieden werden, da der Anspruch sich bereits aus den vertraglichen Abreden der Parteien ergeben hat und auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch geltend gemacht werden konnte.
Klar herausgearbeitet hat das BAG dabei die Unterscheidung zwischen Personalakten im formellen und im materiellen Sinn.
Personalakten im formellen Sinn sind diejenigen Schriftstücke und Unterlagen zu verstehen, die der Arbeitgeber als „Personalakte“ führt und die diesen als Bei-, Neben- oder Sonderakten zugeordnet sind. Demgegenüber bestimmt sich die Zugehörigkeit von Unterlagen zur Personalakte nach dem materiellen Personalaktenbegriff aufgrund inhaltlicher Kriterien. Danach sind Personalakten eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Bediensteten betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Auf eine äußere Zuordnung kommt es dabei nicht an, so dass auch das Protokoll der Sitzung des Kirchengemeinderats der Beklagten vom 15. Mai 2006 zwar nicht der Personalakte im formellen Sinn, wohl aber der materiellen Personalakte der Klägerin zuzuordnen war. Geheimhaltungsvorgaben des Kirchengemeinderats können den Anspruch daher nicht ausschließen.
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Az: 8 AZR 42/24
Datum: 17.10.2024