In diesem Fall klagte ein Mitarbeiter der Fraport, der aufgrund voller Erwerbsminderungsrente auf Zeit zumindest vom 01.12.2014 bis August 2019 seine Arbeitsleistung nicht erbringen konnte, auf Gewährung seines für diesen Zeitraum entstandenen Urlaubsanspruch. Der Kläger machte geltend, er hätte aufgrund der Gewährung der Erwerbsminderungsrente auf Zeit seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen können und der Arbeitgeber sei seiner Hinweispflicht auf die Obliegenheitspflicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs und den ansonsten eintretenden Verfall nicht Genüge getan. Aus diesem Grund stehe ihm für das Kalenderjahr 2014 noch ein nicht in Anspruch genommener Resturlaub von 24 Urlaubstagen zu. Nachdem der Kläger zunächst in den beiden ersten Instanzen unterlegen war, hatte das BAG den Sachverhalt dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt und aufgrund dessen Rechtsprechung vom 22.09.2022 (EuGH, Urteile vom 22.09.2022, C-518/20 undC-727/20) nunmehr der Revision des Klägers stattgegeben.
Zur Begründung verweist das BAG auf die oben genannte Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass Art. 7 RL 2003/88/G und Art. 31 II GRCh einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, entweder nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder später auch dann erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben. Dieser wichtige Grundsatz wird damit nunmehr auch in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts umgesetzt.
Hinweise von Dr. Norbert Gescher:
Für die Zukunft ergibt sich aus der Rechtsprechung des BAG eine differenzierte Betrachtung des Verfalls von Urlaubsansprüchen bei langdauernder Arbeitsunfähigkeit.
Sofern ein Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgängig bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig erkrankt ist, kommt es auf die Erfüllung von Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers nicht an. Der Urlaubsanspruch verfällt dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums, weil auch bei Erfüllung der Hinweispflicht der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht hätte in Anspruch nehmen können.
Anders gestaltet sich die Wertung, der Arbeitnehmer in dem Urlaubsjahr, in dem er arbeitsunfähig erkrankt oder voll erwerbsgemindert geworden ist, tatsächlich zumindest teilweise gearbeitet hatte. In diesen Fällen greift nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Grundsatz der Hinweispflicht des Arbeitgebers mit der Folge, dass auch im hier entschiedenen Sachverhalt der Anspruch des Mitarbeiters auf seinen Erholungsurlaub aus 2014 trotz seiner Ende 2014 eintretenden vollen Erwerbsminderung nicht verfallen ist.
Gericht: BAG
Az: 9 AZR 245/19
Datum: 20.12.2022
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