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AutorenbildAdrian Kalb

BAG: Ausübung des Weisungsrechts während der Freizeit von Arbeitnehmern

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich mit der in der Praxis häufig komplizierten Abgrenzung zwischen „noch Arbeitszeit“ oder „schon Freizeit“ zu befassen.


Der Kläger ist als Notfallsanitäter im Rettungsdienst bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet u.a. eine Betriebsvereinbarung zu Arbeitszeitgrundsätzen (BV) Anwendung, die vorsieht, dass den Mitarbeitenden im Jahresdienstplan sog. Springerdienste zugewiesen werden können. Im Rahmen eines solchen Springerdienstes werden die Beschäftigten gegebenenfalls nicht in ihrer Stamm-Rettungswache, sondern in einer anderen Wache eingesetzt. Die Betriebsvereinbarung regelt auch die Zulässigkeit kurzfristiger Dienstplanungen. So darf der Dienstbeginn bis spätestens 20 Uhr des Vortags durch den Arbeitgeber konkretisiert werden. Erfolgte keine Konkretisierung, muss der Arbeitnehmende um 7.30 Uhr seine Dienstbereitschaft telefonisch anzeigen.


Im Dienstplan war für den Kläger am 8.4.2021 ein Springerdienst eingetragen. Am 7.4.2021 hatte er dienstfrei. An jenem Tag teilte die Beklagte dem Kläger um 13.27 Uhr per SMS mit, dass er am Folgetag um 6 Uhr seinen Dienst antreten solle.


Entgegen dieser Weisung trat der Kläger am 8.4.2021 nicht um 06.00 Uhr seinen Dienst an, sondern zeigte um 7.30 Uhr telefonisch seine Arbeitsbereitschaft an. Die Beklagte setzte ihn an diesem Tag nicht mehr ein und zog 11 Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab.

Im September 2021 kam es zu einem ähnlichen Vorfall. Am 14.9.2021 informierte die Beklagte den Kläger per SMS und E-Mail darüber, dass er am Folgetag um 6.30 Uhr seinen Springerdienst anzutreten habe. Der Kläger meldete sich - entgegen der Weisung - am 15.9.2021 um 7.30 Uhr einsatzbereit. Auf Aufforderung der Beklagten trat der Kläger um 8.26 Uhr seinen Dienst an. Daraufhin mahnte die Beklagte den Kläger schriftlich ab und zog 1,93 Stunden (Differenz zwischen dem angeordneten und tatsächlichen Dienstbeginn) von seinem Arbeitszeitkonto ab.


Der Kläger machte die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte sowie einen Anspruch auf Gutschrift der abgezogenen Stunden vor dem Arbeitsgericht Elmshorn geltend, das die Klage jedoch abwies. Das LAG Schleswig-Holstein gab dem Kläger Recht, während das BAG nun zugunsten der beklagten Arbeitgeberin entschied. Der Kläger, so das BAG, habe keinen Anspruch auf Zeitgutschrift, denn er sei verpflichtet gewesen, seinen Dienst - entsprechend der konkretisierenden Weisung - um 6.00 Uhr (am 8.4.2021) bzw. 6.30 Uhr (am 15.9.2021) anzutreten. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Im Arbeitsverhältnis können die Vertragsparteien deshalb zur Verwirklichung des Leistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Dazu gehört auch die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem anderen Teil die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen oder zu beseitigen und dem anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen. Die leistungssichernde Nebenpflicht, Kenntnis von der Zuteilung von konkretisierten Tag- und Spätdiensten zu nehmen, kommt im vorliegenden Fall in der entsprechenden Regelung der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck. Danach kann der unkonkret zugeteilte Springerdienst für den Tag- und Spätdienst noch bis 20.00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichte den Arbeitnehmer daher, so das BAG, die Weisung des Arbeitgebers per SMS in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen. Aufgrund der BV habe er auch mit einer entsprechenden Konkretisierung seines Springerdienstes bis 20.00 Uhr rechnen können und müssen. Er müsse im Rahmen dieser geschuldeten Mitwirkungspflicht auch nicht ununterbrochen für die beklagte Arbeitgeberin erreichbar sein, sondern lediglich bis 20.00 Uhr am Vortag von der Weisung Kenntnis nehmen. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stelle sich damit als derart zeitlich geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden kann und dass es sich insoweit auch nicht um Arbeitszeit handele. Aufgrund seines weisungswidrigen Verhaltens stehe dem Kläger weder die begehrte Stundengutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto noch ein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte zu.


Hinweis von Rechtsreferendarin Anne Hornung:

Mit hiesigem Urteil beantwortet das BAG die Streitfrage, ob der Arbeitnehmer auf Grundlage einer BV verpflichtet werden kann, in der Freizeit Weisungen des Arbeitgebers zur Kenntnis zu nehmen, mit einem klaren „JA“ und kehrt damit dem Recht des Arbeitnehmers auf völlige Unerreichbarkeit in seiner Freizeit den Rücken zu. Das Urteil überzeugt, da die Betriebsparteien eine detaillierte Regelung darüber getroffen hatten, wie und insbesondere bis wann die der jeweilige Springerdienst konkretisiert werden kann. Dem Kläger wurde vor diesem Hintergrund keine uneingeschränkte Erreichbarkeit in seiner Freizeit abverlangt.

 

Gericht: BAG

Az.:            5 AZR 349/22

Datum: 23.8.2023

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